Rückblickend betrachtet, war mein Weg zur Kalligrafie nahezu unausweichlich...

Ja, das bin ich (ca.1970)
Aufgewachsen bin ich mit unserer Druckerei, die von Vater und Großvater gemeinsam in Stelle (Landkreis Harburg) geführt wurde. Praktischerweise hatte unsere Privatwohnung einen direkten Zugang zum Betrieb, und nichts machte ich lieber, als kleine Botengänge oder auch mal Besuche „nur so".

Bei den netten Damen in der Buchbinderei, die freundlicherweise meine kaputten Schulbücher flickten, den Druckern an ihren Maschinen (da war es ein bißchen gefährlich für Kinderhände - also aufpassen, dass Opa mich nicht sieht, der schimpft sonst!), und am allerliebsten bei den älteren Herren in der Schriftsetzerei, die mit einer Engelsgeduld winzige Bleilettern zu Sätzen und ganzen Seiten zusammenfügten und sich mit ebensolcher Geduld meine neuesten Geschichten aus dem Kindergarten anhörten.

Während der Schulzeit überlegte ich kurzfristig, in die Fußstapfen von Großvater, Vater und Bruder zu treten und auch Schriftsetzer(in) zu werden. Ein Praktikum bei den „Harburger Anzeigen und Nachrichten", obwohl hochinteressant, brachte mich aber davon ab: Die Setzkästen waren schwer und durften von weiblichen Kräften nicht allein getragen werden -das war nicht so schlimm, die Kollegen waren jederzeit gern hilfsbereit. Schwerer wog das ständige Arbeiten im Stehen und der nicht ganz ungefährliche Umgang mit den Bleilettern: Blei ist ein Nervengift und wird von Schriftsetzern über die Haut und die Atemwege ständig in winzigen Dosen aufgenommen.
Nach einem weiteren Praktikum als Buchhändlerin (auch schön, auch nicht das richtige) und erfolgreich abgeschlossenem Abitur ergatterte ich einen Ausbildungsplatz als Verlagskauffrau beim Heinrich Bauer Verlag in Hamburg (500 Bewerber, sechs Auserwählte). Direkt im Anschluß folgte ein Volontariat, also eine betriebliche Ausbildung zur Redakteurin.
Das Thema Schrift und Schreiben hatte ich nun also wirklich von allen Seiten umzingelt. Im Volkshochschulprogramm der Stadt Buxtehude stieß ich dann auf das Thema Kalligrafie. Schreiben, das konnte ich - das war doch was für mich.

Die ersten Kurse waren ebenso lehr- wie frustreich. Oft war es nur mein gekränkter Stolz, der mich durchhalten ließ.
Erst später wurde mir klar, dass meine erste Schrift, die Humanistische Kursive, für Anfänger nur bedingt empfehlenswert ist.
Nachdem meine erste Dozentin beruflich nach Frankreich verziehen mußte, folgte ihr die unglaublich kreative, mitreißende und nach wie vor hochverehrte Birgit Naß. Ich hatte das Glück, damals ihre Anfänge als Dozentin mitzuerleben. Inzwischen hat Birgit es in die oberste Liga der etwa zwanzig hauptberuflichen Kalligrafen Deutschlands geschafft.
 Action Painting: Vielleicht hätte ich den | | Tisch doch abdecken sollen... |
Bei etwa der Hälfte davon habe ich inzwischen Kurse und Seminare besucht, unter anderem bei:
Katharina Pieper (bei der einst Birgit ihr Handwerk erlernte), Joachim Propfe, Mari-Emily Boley, Peter Unbehauen und Charly Witschnigg (genaugenommen ein Österreicher, gibt aber auch Seminare im schönen Travemünde an der Ostsee). |
 Die! Will! Ich! Haben!
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Seit Herbst 2012 bin ich nun selbst Dozentin an der Volkshochschule Buxtehude.
Hier möchte ich nun die verschiedenen Arbeitsweisen, die ich kennengelernt habe, und auch die unterschiedlichen Meinungen zu Arbeitsprozessen und -materialien gern weitergeben und soviele Menschen wie möglich für die Kunst des schönen Schreibens begeistern. Denn ich bin inzwischen restlos überzeugt: Die Welt braucht mehr Kalligrafie!
Leben heißt lernen...
Deswegen besuche ich jedes Jahr zwischen vier bis sechs Seminare bei unterschiedlichen Meistern der Kalligrafie. Dazulernen, sich austauschen, und mit der Zeit auch immer mehr Bekannte wiedersehen, die die gleiche Leidenschaft teilen und quer durch die Republik verteilt sind: teilweise geht es auf diesen Tagungen zu wie bei einem Klassentreffen - mit lauter Lieblingsmitschülern.
Wenn ich Seminare bei Kalligrafen belege, die bereits ein Buch veröffentlicht haben, nutze ich die Gelegenheit gerne, mir eine Widmung schreiben zu lassen. Mit der Zeit ist so eine recht ansehnliche Sammlung zustande gekommen:
Peter Unbehauen, Der Kunst-Ratgeber Kalligrafie, Englisch Verlag, ISBN 3-8241-1276-0, Euro 16,80
Dieses Seminar fand in den Sommerferien statt, deswegen habe ich meine Töchter mitgenommen - eine neue Erfahrung für uns alle und organisatorisch kein Problem, weil Peter ein großer Kinderfreund ist und auch auf die Bedürfnisse des allerkleinsten Kalligrafienachwuchses einzugehen weiß.
Joachim Propfe, SchreibKunstRäume, Haupt-Verlag, ISBN 978-3258-60022-2, Restexemplare ab 40 Euro
Für Joachim Propfe habe ich extra den weiten Weg nach Augsburg auf mich genommen, weil er so gut beschäftigt ist, dass er nur wenige Seminare gibt, noch weniger davon in Norddeutschland. Joachim hätte ohne weiteres auch Gehirnchirurg werden können; noch nie habe ich einen Kalligrafen so langsam und dabei derartig exakt und wackelfrei schreiben sehen wie ihn. Jeder Buchstabe ein Genuß, schon beim Hinsehen.
Birgit Nass, Schrift-Bilder,Christopherus Verlag, ISBN 978-3-8388-3262-3,nur noch antiquarisch ab 60 Euro
Ach, Birgit...keinem anderen Kalligrafen habe ich so viel zu verdanken wie dir. Wer einmal ein Seminar bei dir erleben durfte, der weiß, dass Kalligrafie nicht (nur) Übungen im stillen Kämmerlein heißt, sondern auch wild, frei überbordend,atemberaubend, explosiv-kreativ sei kann, muss, sollte. Nicht umsonst fühle ich mich nach einem Wochenende mit Birgit manchmal so, als wäre ich von der Straßenbahn überfahren worden - ein Input-Exzess, von dem ich noch Tage, Wochen, Jahre zehre.
Luca Barcellona, Take your pleasure seriously, lazy dog Verlag, ISBN 978-88-98030-00-2, Euro 68,00
Luca Barcellona ist der Robbie Williams der Kalligrafie-Szene, einer der "Jungen Wilden", die vornehmlich aus der Graffiti-Szene stammen und einen genialen Crossover aus Klassik und Moderne erschaffen. Eine Erinnerung an ein tolles Seminar von Ars Scribendi, der deutschen Kalligrafie-Zeitschrift.
Jean Larcher, Linien mit Charakter, Edition Katharina Piper, im Schuber, limitiert auf 500 Stück, 119 Euro
Dieses Buch nimmt einen Sonderplatz in meiner Sammlung ein; Den vor kurzem verstorbenen Jean Larcher habe ich nie kennengelernt, ich habe "nur" dieses Buch gekauft, einen gewaltigen Schinken, nebenbei gesagt. Weil ich es mir in einer ruhigen Stunde und nicht zwischen Tür und Angel ansehen wollte, blieb es erst einmal ein paar Wochen liegen. Erst dann bemerkte ich, dass Jean Larcher mir freundlicherweise und unaufgefordert eine Widmung hineingeschrieben hatte - eine Geste, die mich jedesmal rührt, wenn ich dieses Buch aufschlage, und immer wieder aufs neue erfreut.